Wald in der Nähe Magnolias

cf: Ashleys Wohnung

Von Ashleys Seite kam das Angebot, Misaki könne auch dort übernachten, falls es zu spät würde, um noch heim zu gehen. Ein Vorschlag, den Misaki sich allerdings erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen musste und später darüber entscheiden würde, wofür sie sich entschied. Sie liebte ihre eigene Wohnung nämlich und auch wenn sie gern in Ashleys Nähe war, so wollte sie doch weiterhin einen gewissen Abstand wahren, solange sie konnte.
Nebeneinander spazierten sie durch die hell beleuchtete Stadt und genossen die Ruhe. Misaki genoss sie zumindest, ob Ashley das ebenso sah, konnte sie nicht sagen. Es waren neben ihnen nur geringfügig andere Leute unterwegs, die meisten suchten zügig ihren Weg heim, ein paar wankten leicht angetrunken durch die Straßen und den letzten Rest bildete junge Pärchen, die auf dem Weg in irgendwelche Clubs waren. Hand in Hand liefen sie an den beiden Frauen vorbei und Misaki konnte nicht anders, als einen Moment lang zu ihrer Partnerin hinüber zu schielen. Ob sie wohl jemals ganz genauso offen dieser Beziehung gegenüber würde sein können, um ihr Glück mit der ganzen Welt zu teilen?
Schnell wandte sie ihren Blick wieder und konzentrierte sich darauf, den richtigen Weg in Richtung Wald zu nehmen. Dort angekommen lehnte Ashley sich an einen der Bäume und blickte in den Himmel hinauf. Misaki stellte sich neben sie und sah ebenfalls nach oben. „Von hier aus kann man sie wunderbar sehen, ja. Und wenn man auf diesen Baum da klettert, hat man die perfekte Sicht auf die Stadt“, erklärte sie und deutete auf eine riesige, alte Buche, die majestätisch in der Mitte der Lichtung thronte. Ashley hatte Recht, die Sterne waren wirklich wunderschön, auch wenn Misaki noch nicht so ganz verstehen konnte, was genau an dieser Situation nun so einzigartig war, dass Ashley es genoss, gerade mit ihr hier zu stehen. „Es ist … romantisch ...“, gab sie daher zurück, wobei ihre Worte eher so klangen, als hätte sie das Gesagt soeben erraten. Und tatsächlich war es auch nicht mehr als das. Mondspaziergänge und das Beobachten von Sternen sollte angeblich eine besonders romantische Wirkung auf Paare haben. Misaki ihrerseits verspürte davon allerdings noch nicht sehr viel. Sie stand stattdessen mit verschränkten Armen da, ihren Mantel über die Schultern gehängt und blickte schweigend nach oben, fast so, als wäre sie konzentriert. In Wirklichkeit wusste sie aber einfach nur nicht, was sie nun mit der Situation anfangen sollte.

Misakis Blick wanderte zu Ashley hinüber, als diese die Stille durchbrach. Sie erzählte, dass das Beobachten von Sternen das einzige gewesen war, was Yuri und sie getan hatten, ohne einander in den Haaren zu liegen. Kurz hob die Rothaarige eine Augenbraue. „Also technisch gesehen sind Sterne ja riesige Feuerbälle, die früher oder später explodieren und ein ganzes Universum verschlingen können“, entgegnete sie trocken, ohne sich bewusst darüber zu sein, dass sie damit die ganze Stimmung vielleicht ein klein wenig kaputt machte. Ashley hatte derweil nämlich ihren Kopf auf Misakis Schulter gelegt und sah weiter gen Sterne. Die weichen Haare der Scarlet strichen über ihren Hals und ein wohliger Schauer lief Misaki über den Rücken. Auch der leichte Druck, den der auf ihrer Schulter ruhende Kopf hinterließ, fühlte sich irgendwie unglaublich angenehm an. Ohne wirklich darüber nachzudenken legte sie daher einen Arm um Ashleys Hüfte und legte ihren Kopf auf dem ihrer Freundin ab.
Was genau sie da tat wurde ihr erst ein paar Augenblicke später bewusst, doch hatte sie sich da bereits in die Position gebracht und diese war zu schön, um jetzt schlagartig wieder zurückzuweichen. Außerdem hätte sie damit vielleicht die angenehme Stille ruiniert, die sich wieder über sie gelegt hatte. Misaki hatte kein Problem damit, sich einfach mal eine ganze Zeit lang nicht zu unterhalten, sondern einfach nur in dieser Geste zu verharren und das leise Zirpen der Grillen und die leichte Frühlingsbrise zu genießen, die durch den Wald zogen. Romantisch … Ein Wort, das der Rothaarigen eine ganze Weile durch den Kopf schwirrte. Langsam schien sie zu begreifen, wie gut sich etwas anfühlte, wenn es Romantisch war. Zumindest, solange es nicht ins Kitschige überging.

Das Schweigen hielt eine ganze Weile an und Misaki wollte schon ganz verwundert auf Ashley blicken, um zu überprüfen, ob diese auch noch wach war, da begann die Scarlet zu reden. Oder eher eine Frage zu stellen, auf diese hin Misaki ein wenig verlegen wurde. Sie hatte darüber nachgedacht, war jedoch noch zu keinem wirklichen Entschluss gekommen. Sie wollte eigentlich nur ungern diese Nacht nicht in ihrem eigenen Bett verbringen, aber wenn sie ehrlich war war sie ein wenig neugierig, wie es wohl sein würde, bei jemand anderem zu übernachten. Sicher schlief sie manchmal außerhalb in Hotels oder Ferienwohnungen, wenn sie auf Quests außerhalb Magnolias war, doch war das natürlich etwas vollkommen anderes, war sie da doch stets allein gewesen.
Einen Augenblick lang zögerte sie noch, dann entgegnete sie mit ruhiger Stimme: „Ich denke es ist zu spät, noch den Weg nach Hause anzutreten. Immerhin wohne ich am anderen Ende der Stadt.“ Das musste als Zustimmung reichen, mehr konnte, mehr wollte sie dazu nicht sagen. Viel lieber wollte sie ein ganz anderes Thema anschlagen. „Ich hatte dir noch gar nicht erzählt, dass ich Reika vor ein paar Tagen getroffen habe, oder?“, fragte sie, da ihr gerade dieser Punkt in den Sinn gekommen war. Sie hatte Ashley davon erzählt, wieso sie Heroic Dragon beigetreten war, jedoch nicht, dass dieser Grund sich eigentlich mittlerweile aufgelöst hatte, da Reika sie trotz ihrer … Schwäche akzeptiert hatte. Dabei musste sie daran zurückdenken, wie ihre Schwester ihr von ihrer Verlobten erzählt hatte und für einen Moment schien ihr Herz stehen zu blieben. Ob sie mit Ashley auch eines Tages so enden würde? Bei genauerer Überlegung nichts, was sie sich nicht gänzlich vorstellen könnte, auch wenn es im Moment noch eher unwahrscheinlich wirkte. Immerhin zögerte sie schon, wenn es nur darum ging, für eine Nacht bei Ashley zu bleiben.

Misaki nickte zustimmend. Was Ashley sagt stimmte eins zu eins so, wie sie es gesagt hatte. „Sie hat mich … sehr herzlich empfangen. Wenn auch vorerst mit etwas Irritation.“ Sie erinnerte sich an die Irritation ihrerseits, als ihre Schwester sie plötzlich an sich gedrückt hatte und musste bei dem Gedanken daran tatsächlich leicht schmunzeln. Mittlerweile wäre sie diesbezüglich vielleicht etwas aufgeschlossener, doch zu diesem Zeitpunkt hatte diese überschwängliche Reaktion Reikas sie extrem aus dem Ruder gebracht und damit vermutlich maßgeblich zu ihrem langsamen aber steten Persönlichkeitswechsel beigetragen. „Ich glaube, sie hat damit eine Seite in mir geöffnet, die ich eigentlich weggeschlossen hatte. Mein Gespräch mit ihr hatte etwas sehr Befreiendes und sie war die erste Person, der gegenüber ich das Gefühl hatte, mich nicht dafür schämen zu müssen, wer ich bin und wie ich gelebt habe.“ Leicht senkte sie den Blick und schwieg einige Herzschläge lang. Dann sah sie Ashley in die Augen. Ein Lächeln lag auf den Lippen derer, die in ihren Armen stand und sie hatte das Gefühl, dass eben dieses Lächeln ihr Herz berührte. Ein leichter, angenehmer Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das Lächeln leicht und zaghaft erwiderte. „I-ich denke … wir sollten langsam zurück gehen. Es wird spät und morgen könnte ich bereits wieder einen Auftrag vertragen, wenn ich mich nicht die nächsten Tage von Fisch ernähren will, den irgendwelche Stadtbewohner mir andrehen wollen.“ Bei dem Gedanken an das Angebot des älteren Mannes schüttelte sie sich leicht und befreite sich bei dieser Gelegenheit aus der Umarmung mit Ashley. Dann drehte sie sich zu dem Baum um und riss ein paar Stücken Rinde ab. Ashley hatte ihren Snack auf dem Hinweg gegessen, sie würde den ihren für den Rückweg haben.

tbc: Ashleys Wohnung