Straße nach Bosco

(B-Rang) Die Eskorte:

cf: Graceful Tiger Gildenhaus - Erdgeschoss

Es weckte in Rin Erinnerungen an die vergangene Zeit – schöne Erinnerungen an das, was war und von dem sie gedacht hatte, es verloren zu haben. Doch nun lief sie tatsächlich wieder neben Shinji her, ihrem besten Freund und wichtigsten Partner und war auf dem Weg zum Bahnhof. Sie hatte keinen Grund gehabt, sich in der Zeit seiner Abwesenheit zu beschweren, immerhin hatte sie in Asuna eine tolle Freundin und Questpartnerin gefunden, doch Shinji war und blieb nun einmal ihr bester Freund und sie war heilfroh, dass er endlich wieder in ihrer Nähe war. „Nun erzähl mal ganz genau, was alles passiert ist, seit du weg warst. Wir haben einen längeren Weg bis zu unserem Auftraggeber vor uns also, was gibt es zu berichten?“ Es war ernsthafte Neugierde, die da aus Rin sprach. Sie wollte wirklich wissen, wo Shinji sich all die Zeit aufgehalten, was er gemacht und wen er vielleicht sogar kennen gelernt hatte. Und was noch viel wichtiger war, warum um alles in der Welt er sich nie gemeldet hatte.

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Nachdenklich runzelte Rin die Stirn, während sie Shinjis Erzählung lauschte. Entführung und Ermordung? Das klang aber gar nicht gut. „Hoffen wir mal, dass deine Erinnerungen an diese Zeit wieder zurückkommen. Sicher wären sie ziemlich hilfreich … auch wenn das, was du erzählst nicht so klingt, als würde ich wirklich davon wissen wollen“, murmelte sie und kratzte sich leicht am Hinterkopf. „Aber hey, ich bin wahnsinnig froh, dass du da rausgekommen und wieder hier bist.“ Sie stieß ihm freundschaftlich mit dem Ellbogen in die Seite und schenkte ihm ein freches Grinsen.
„Hoffen wir, dass das so bleibt. Ich habe mir nämlich wirklich große Sorgen gemacht.“ Sie hakte sich bei Shinji unter und lief eng neben ihm weiter zum Bahnhof. Den Weg dorthin kannten die beiden mittlerweile wohl in- und auswendig. Der Himmel war leicht bewölkt und Rin glaubte zu spüren, dass es im Laufe dieses Tages auf jeden Fall noch einmal zu schneien beginnen würde. Ein Grund mehr diesen Tag abgöttisch zu lieben.

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„Das werden wir sowas von rocken!“, lachte Rin und schlenderte tiefenentspannt neben dem Blondschopf her. Gemeinsam erreichten sie recht schnell den Bahnhof und während sie Shinji nachsehen ließ, wann ihr Zug kam, ließ Rin sich auf einer der Bänke nieder, was ihr einen etwas seltsamen Blick einer älteren Dame einbrachte. Es mochte draußen kalt sein, weshalb die Bank noch um einiges kälter sein musste, doch die Schwarzhaarige selbst spürte davon kaum etwas. Sie saß vollkommen entspannt auf dem hellen Holz und beobachtete Shinji dabei, wie er nach den Fahrzeiten sah. Sie selbst kramte derweil noch einmal den Questzettel hervor. Sie mussten einer kleinen Familie Geleitschutz geben. Etwas, das für die beiden wohl kaum ein Problem darstellen sollte. Immerhin waren sie ein eingespieltes Team und die längere Pause hatte daran ganz sicher nichts geändert. „Ich hoffe, du bist in der Zwischenzeit nicht eingerostet“, scherzte Rin, als Shinji zu ihr zurück kam. „Vielleicht bist du ja vollkommen aus der Übung gekommen und ich muss im Endeffekt nicht nur die beiden, sondern auch dich beschützen.“ Lachend zwinkerte sie ihm zu. Sicher war das, was geschehen war, eine sehr ernste Angelegenheit, doch Rin versuchte, einfach das Beste daraus zu machen, was ging.

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„Na das werden wir ja sehen“, grinste Rin und gab Shinji einen weiteren Knuff in die Seite. 15 Minuten würden sie noch Zeit haben, bis ihr Zug einfuhr, also konnten sie diese Zeit entweder sinnlos vertrödeln, indem sie hier herum saßen und nichts taten oder indem sie irgendetwas machten. Reden zum Beispiel. „Kennst du einen Shinjo Himagawa?“, fragte sie gerade heraus und blickte den Blondschopf neugierig an. Sie wollte gern mit Shinji über diesen Kampf reden, den sie erst vor kurzem geführt hatte, denn auch wenn sie mehr oder minder siegreich daraus hervorgegangen war, so hatte sie das doch auch nur geschafft, weil ihr Gegner einen blöden Fehler begangen hatte. Zumindest hatte es für Rin so ausgesehen. Doch im Endeffekt hätte er den Kampf wohl gewinnen können. Rin wusste, dass sie noch lange nicht bei ihrem Limit angelangt war, sie wusste, dass sie mehr drauf hatte als das, was sie gegen den Magier von Violent Phoenix gezeigt hatte, aber es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie all das Potenzial gänzlich ausgebaut hätte. Und sie wollte, dass Shinji ihr dabei half.

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Natürlich hatte Shinji schon einmal etwas von diesem Magier gehört. Manchmal fragte Rin sich, wo ihr Freund seine Ohren und Augen überall hatte, denn es war bisher nicht selten vorgekommen, dass er schon viel eher von etwas wusste, als sie. „Ich stand ihm vor wenigen Tagen Auge um Auge gegenüber … ein Kampf auf Leben und Tod sollte es sein. Eigentlich. Aber ich glaube, wenn es dabei geblieben wäre, würde ich heute nicht mehr hier stehen.“ Ihr Blick wurde ernst, als sie die Augenbrauen grimmig zusammenzog. „Er war noch viel stärker, als ich es erwartet hatte. Hätte er keinen Fehler gemacht, dann wäre es für mich sicher brenzlig geworden.“ Shinji direkt in die Augen sehend sprach sie im gleichen ernsten Tonfall weiter. „Wenn Violent Phoenix noch mehr solcher Leute hat, dann haben wir wirklich ein Problem. Jetzt, da du wieder da bist, hast du bestimmt schon eine Idee, was wir tun könnten, um solchen Typen wie Shinjo trotzen zu können.“ Shinji war schon immer ein kluger und sehr strategischer Mensch gewesen – zumindest hatte Rin ihn bisher nicht anders erlebt – und dementsprechend große Hoffnungen setzte die Schwarzhaarige in ihn und sein Wissen. Mit Sicherheit hatte er bereits einen Plan um irgendwann erfolgreich gegen Gins Armee marschieren zu können.

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Kurz seufzte Rin. Ihr Partner wirkte wesentlich optimistischer als sie, wenn es darum ging, Violent Phoenix auf die Nase zu geben. Und dabei war für gewöhnlich sie diejenige, die an alles mit riesigem Optimismus heranging. „Er ist ausgerutscht … denke ich“, murmelte sie, wobei sich fast schon so etwas, wie ein Lächeln auf ihre ernste Mine schlich. „Ich konnte es nicht recht sehen, auf jeden Fall hat er sich den Kopf angeschlagen und ist dann bewusstlos zusammen geklappt.“ Eigentlich hätte Rin ihm zu diesem Zeitpunkt töten können und Gin damit einen seiner – laut Shinjos Worten – wichtigsten Kämpfer genommen, doch Rin war eine Frau von Ehre. Sie nahm niemanden das Leben, solange er schutzlos war, da mochte ihr Gegner noch so gefährlich oder grausam sein. Und abgesehen davon, dass Shinjo ein Mitglied von Violent Phoenix war, hatte bisher noch nichts getan, was irgendwie Rins Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Langsam erhob sie sich, als der Zug einfuhr und Shinji sie dazu aufforderte, einzusteigen. „Sicher, wir sind ein unschlagbares Team aber es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe meine Grenzen noch lange nicht zu kennen.“ Wie als Untermalung ihrer Worte ballte sie ihre rechte Hand zu Faust und hielt sie vor sich, wobei ihr Verlobungsring leicht blinkte. „Ich muss stärker werden … noch sehr viel stärker, als ich es im Moment bin, wenn ich meiner Familie ein sicheres Leben bieten will – Reika ein sicheres Leben bieten will.“ Oh wie sie es doch vermisst hatte, Shinji ihre Bedenken anvertrauen zu können, denn normalerweise versuchte Rin stark und unantastbar, stets gutgelaunt zu sein. Shinji wiederum war ein Mensch, dem sie von ihren Sorgen erzählen konnte und der ihr im besten Fall einen guten Rat geben konnte. Und dabei war er jünger als sie …

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Vermutlich machte sie sich für den Moment ja auch einfach viel zu viele Gedanken. Sie ging immerhin nicht auf diese Quest, um über ihre Selbstzweifel nachzudenken, sondern um Spaß zu haben. Kurz verdrehte Rin die Augen, als sie an den Kampf mit Shinjo zurück dachte. „Du hättest diesen Kerl erleben müssen … so selbstsicher und arrogant.“ Sie setzte einen angewiderten Blick auf. „Ich glaube, er sah sich selbst als den Mittelpunkt der Welt an. Eigentlich war es umso lustiger, wie der Kampf letztlich ausging. Aber ich finde nicht, dass ein Sieg immer ein wirklicher Sieg ist.“ Während sie sich auf einem leeren Platz niederließ, wobei sie darauf achtete auch ja einen Fensterplatz zu erwischen, lauschte sie aufmerksam Shinjis Worten, dann lächelte sie. „Chiyo hat sich gut in die Gilde eingelebt. Ich war in letzter Zeit selten da, deswegen kann ich dir nichts Genaueres sagen, aber ihr geht es wirklich gut. Sie wird sich auch freuen, dass du wieder da bist“, entgegnete sie auf Shinjis Frage, was denn eigentlich mit dem Mädchen von damals passiert wäre. Tatsächlich hatten sie und Shinji die kleine Chiyo vor deren Großvater „gerettet“ und sie letztlich zu Graceful Tiger gebracht, wo sie ein neues Zuhause gefunden hatte.

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„Sie wird sich sicher freuen, dich wiederzusehen, wenn wir zurück sind“, entgegnete Rin mit einem fast schon liebevollen Lächeln auf dem Gesicht, ehe ihr Blick von Shinji zum Fenster glitt und sie den Schneeflocken dabei zusah, wie sie an dem Zug vorbei tanzten. Vor wenigen Augenblicken hatte es nämlich tatsächlich wieder angefangen zu schneien und der Anblick der glitzernden Flocken sorgte für ein wahres Hochgefühl in Rins Herzen. Und dabei war sie bis eben noch so tief in Gedanken versunken gewesen. Ein wenig irritierend waren diese abrupten Stimmungswechsel ja schon irgendwie, doch Rin schob das einfach darauf, dass sie im Grunde nur schöne Sachen erlebte und ein kleinerer Tiefschlag dann schnell dazu führen konnte, dass sie mit sich und der Welt unzufrieden wurde.
Langsam wandte sie ihre Aufmerksamkeit vom Schnee zurück zu Shinji. „Weißt du, was wir unbedingt noch machen müssen, wenn du mein Trauzeuge werden sollst?“, fragte sie, wobei das Lächeln in ihrem Gesicht einem breiten Grinsen wich. Zeit, darauf zu antworten, ließ sie ihm allerdings nicht. „Shoppen gehen. Du brauchst einen Anzug … und ein Anstecktuch, das am besten die gleiche Farbe hat, wie mein Kleid. Oh!“ Plötzlich riss sie die Augen weit auf und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich habe vergessen Reika das hier zu geben …“ Aus ihrer Tasche, die sie während einer Quest stets bei sich hatte, holte sie eine hübsche, silberne Kette hervor, die die Initialen von Rin und Reika in dem Kopf eines Tigers vereinte. Vor wenigen Wochen hatte sie diese Kette extra für ihre Liebste anfertigen lassen, doch geschenkt hatte sie ihr noch nicht. Allerdings hatte Rin ihre Gedanken am vergangenen Abend ganz woanders gehabt und auch an diesem Morgen war sie gedanklich nicht ganz bei der Sache gewesen. „Du musst mich daran erinnern, sie ihr zu überreichen, wenn wir zurück sind. Bitte.“

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Rin war sich nicht so sicher, ob Shinji zu den Männern gehörte, die shoppen gehen mit Frauen hassten oder ob er sich wirklich darauf freute, mit ihr einen Anzug auszusuchen. Um ihr Kleid zu kaufen würde sie wohl Azura und Asuna mitnehmen müssen, denn Reika durfte das Hochzeitskleid ja bis zu ihrem großen Tag nicht sehen. Grinsend kratzte die Schwarzhaarige sich am Hinterkopf. „Naja, manchmal bin ich halt ein wenig schusselig. Aber jetzt hab ich dich ja wieder“, entgegnete sie und zwinkerte ihm zu. Kurz darauf hielt der Zug an ihrer gewünschten Haltestelle und die beiden stiegen aus. „Laut Informationen müssen die Frau und ihr Sohn hier irgendwo sein.“ Der Bahnhof, an dem sie angekommen waren, war nicht sehr groß und dementsprechend nicht besonders gut gefüllt. Rin konnte nur eine einzige Frau mit ihrem Sohn stehen sehen, die anderen Personen waren entweder Frauen mit ihren Männern, Frauen allein oder Männer allein. Kurz deutete Rin auf die beiden, um Shinji auf sie aufmerksam zu machen und lief dann mit zum Gruß gehobener Hand auf sie zu.

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„Mein Name ist Rin Setsuko, das ist mein Partner Shinji Narukami. Wir beide sind von Graceful Tiger und werden Ihnen Geleitschutz geben“, stellte Rin die beiden vor, woraufhin sie die Frau und deren Sohn in ihre Mitte nahmen und den Weg nach Bosco antraten. Von ihrem momentanen Standpunkt aus würden sie gut einen halben Tag unterwegs sein und wie Shinji ganz richtig sagte, so konnten an jeder Ecke Gefahren lauern. Deswegen hielt Rin die Augen auch wachsam geöffnet, während sie Worte an die Dame richtete: „Sagen Sie, woran arbeitet ihr Mann denn, dass er Sie nicht selbst nach Bosco bringen kann?“ Die Frau drückte die Hand ihres Sohnes etwas fester und sah sich ein paar Mal unsicher um, ehe sie antwortete. Es war ganz offensichtlich, dass sie sich in dieser Umgebung sehr unwohl fühlte. „Mein Mann ist Leiter eines Bauprojektes, das, wenn es fertig ist, ein Waisenhaus in Bosco mit sich bringt.“ Rin nickte knapp. Diese Menschen waren gute Leute und es war ihr eine Freude, diese gutmütige Frau auf dem Weg zu beschützen.

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Nach einer guten Stunde Fußmarsch nahm der Schnee deutlich zu und es kam ein sehr unangenehmer Wind auf, der das Ganze zu einer Art Schneesturm werden ließ. Rin selbst spürte davon kaum etwas, doch sie sah der jungen Frau und deren Sohn an, dass sie unter diesen Umständen kaum mehr allzu lange würden weiter gehen können. Auch Shinji schien das zu bemerken, denn er schlug vor nach einem Unterschlupf zu suchen und abzuwarten, bis der Sturm etwas abgenommen hatte. „Klingt gut“, entgegnete Rin und begab sich von dem Weg runter tiefer in den Wald hinein. Die Bäume hielten dem Schnee einigermaßen stand und so war es dort nicht ganz so kalt wie auf der weiten Fläche außerhalb und der Wind wurde von den Nadelbäumen auch gut abgeschirmt. Doch mussten sie einen noch geschützteren und vor allem trockenen Platz finden, damit sie sich dort in der Zwischenzeit niederlassen konnten. „Siehst du irgendwas? Eine Höhle oder einen Unterstand für Wanderer?“, fragte sie an Shinji gewartet, während sie versuchte gleichzeitig die beiden Zivilisten zu beobachten und nach einem solchen Unterstand Ausschau zu halten.

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Die beiden Magier machten sich mit der jungen Dame und dem kleinen Jungen auf den Weg zu der kleinen Einbuchtung im Felsen, die sie zumindest vor dem kalten Wind bewahren würde. Shinji erreichte den Unterschlupf als erster, während Rin die Nachhut bildete und sich aufmerksam nach allen Seiten umsah, damit auch ja niemand oder gar nichts verfolgte. Als alle vier erfolgreich untergekommen waren, legte Rin ihre Quest-Tasche ab und lehnte sich an die kalte Felswand. Zum wiederholten Mal an diesem Tag zahlte es sich wahrlich aus, dass die Eismagierin kaum Kälte empfand. So konnte sie sich hier niederlassen, wo sie wollte, es juckte sie nicht. Dafür musste sie mit Sorge feststellen, dass der kleine Junge bereits jetzt zu zittern begann. Und dabei waren sowohl er, als auch seine Mutter, wirklich dick eingepackt. „Warten Sie …“, murmelte Rin und zog den Umhang von ihren Schultern, den sie sich während einer Quest meist umhängte. Diesen reichte sie der Dame, die ihn dankend entgegen nahm. Dann wandte Rin sich an Shinji. „Hoffen wir, dass sich der Sturm bald legt, denn ein Feuer können wir hier ganz sicher nicht anzünden. Schon gar nicht trockenes Holz." Ein Feuer zu erzeugen wäre dank Shinjis Magie kein Problem gewesen, es aufrecht zu erhalten allerdings schon. Und wenn Rin sich den Sturm so ansah, dann würde dieser wohl noch eine ganze Weile weiter wüten.
Seufzend verschränkte die Schwarzhaarige die Arme vor der Brust und blickte zu der Frau des Auftraggebers hinüber. „Sagen Sie, wie heißen Sie eigentlich?“, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Wie es aussah würden sie noch ein gutes Stündchen hier herum sitzen und da sollten sie sich ein wenig unterhalten. Anderenfalls taten sie einfach gar nichts und würden hier festfrieren. So sehr Rin die Kälte auch liebte, so wusste sie ebenso gut, wie gefährlich Eis und Schnee sein konnten. „Fiona. Und mein Sohn heißt Joshua“, entgegnete die Dame knapp und strich ihrem Sohn dabei mit einer Hand über den Kopf. „Er redet nicht sehr viel und Fremden gegenüber ist er sehr verschlossen, Freunde hat er keine. Wir wissen allerdings nicht, woher das kommt. Weder sein Vater, noch ich sind besonders introvertiert … er im Gegenteil.“ Sie ließ leicht geknickt die Schultern hängen und Rin setzte ein verständnisvolles Lächeln auf. „Das kommt sicher mit der Zeit, machen Sie sich da mal keine Sorgen. Manche Kinder sind am Anfang sehr stark in sich gekehrt. Ich spreche zwar nicht direkt aus Erfahrung, aber ich weiß, dass auch wenn die Eltern beide eher ruhige Menschen sind, auch ein echtes Energiebündel hervorkommen kann – das durchaus auch seine ruhigen Seiten hat. Glauben Sie mir.“ Sie zwinkerte der blonden Frau zu und ließ ihren Blick dann zu Shinji wandern. Gerade holte sie Luft, um etwas zu sagen, da begann der Boden leicht zu beben und ein lautes Grollen donnerte durch die Luft. Kaum merklich zuckte Rin vor Schreck zusammen und versuchte durch den Sturm hindurch zu erspähen, was bei den Göttern dieses Geräusch gemacht haben könnte, doch der dichte Schnee ließ nicht zu, dass sie auch nur irgendetwas entdecken konnte.
„Ich schaue nach, was da ist. Du bleibst hier und passt auf die beiden auf!“, hörte sie Shinji sagen und wollte etwas erwidern, doch da hatte ihr Partner sich bereits hinaus in den Sturm gestürzt. Rin beeilte sich, vor Fiona und Joshua zu gelangen und sich dort schützend aufzubauen. „Keine Sorge, euch passiert nichts“, flüsterte sie mit ruhiger Stimme, als sie die Angst in den Augen des Jungen sah, der zusammengekauert in den Armen seiner Mutter lag und die Magierin anstarrte. „Die Magier passen auf uns auf, hab‘ keine Angst mein Junge“, versuchte auch seiner Mutter ihn mit einigen Worten zu beruhigen. Rin blickte derweil wieder in den Schnee hinaus und versuchte weiterhin, etwas zu erkennen. Doch nach wie vor vergebens. Shinji schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. „Oh nein … ich verliere ihn nicht schon wieder“, knurrte die Magierin und wandte sich zu Fiona um. „Ich muss nachsehen, was da los ist! Ich lasse Ihnen zwei Wachen hier und bleibe via Telepathie mit ihnen in Verbindung. Rufen Sie mich sofort, wenn etwas passiert!“ Die junge Dame nickte angespannt und Rin schlug mit der Faust in ihre Handfläche. „Ice Make: Snow Tiger!“ Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, erschienen zwei Tiger aus purem Eis in Kampfstellung vor Joshua und seiner Mutter und ließen ein lautes Knurren hören. Rin nickte ihnen knapp zu, dann sprintete sie hinaus in den Schneesturm.
„SHINJIIIII?!“, rief sie und musste aufgrund des beißenden Windes die Augen zusammen kneifen, da sie das Gefühl hatte, sonst zu erblinden. „SHINJI!“ Egal wohin sie blickte, nirgendwo konnte sie den Blondschopf erspähen. Weiter seinen Namen rufend kämpfte sie sich durch den Schnee, bis sie endlich Geräusche wahrnahmen, die das laute Pfeifen des Windes übertönten. Sie hörte eindeutig Kampfgeräusche. „Dieser Idiot … hat er sich einfach ohne mich in einen Kampf geworfen …“, grummelte sie, schüttelte den Kopf und eilte dann in die Richtung, aus der die Laute kamen. Derweil vergewisserte sie sich via Telepathie bei Fiona, ob dort auch alles in Ordnung war. Als sie keinerlei Beschwerden vernahm lächelte sie zufrieden in sich hinein, dann sprang sie durch den Sturm direkt auf das Kampffeld und sah sich einem riesigen Yeti gegenüber, der sie aus seinen winzigen, eisblauen Augen grimmig musterte. „Oha …“, gab sie von sich und machte manisch zwei Schritte zurück. „Ich hatte ja vieles erwartet … aber das ist doch etwas zu groß für meinen Geschmack!“ Wenige Meter hinter dem haarigen Ungeheuer stand Shinji, einen Feuerball in der rechten Hand haltend, kurz davor ihn auf den Yeti zu werfen. Und so groß und schwer wie dieses Vieh war, sollte er eigentlich auch treffen. Gedacht, geschehen. Der Feuerball flog mit rasender Geschwindigkeit auf das Monstrum zu und verfing sich in dem dichten Fell des Yeti. Doch statt dieses in Brand zu setzen, erlosch er binnen weniger Sekunden wieder. „Das passiert bereits die ganze Zeit“, rief Shinji von der anderen Seite der Lichtung und Rin warf ihm einen kurzen, unruhigen Blick zu. Yeti waren keine Wesen, die man allzu häufig zu Gesicht bekam und gerade diese Gegend hier sollte eigentlich frei von solcherlei Kreaturen sein. Hier und da ein paar Wölfe oder Bären waren ja in Ordnung, aber wo zur Hölle war dieses Monstrum aus seiner Höhle gekrochen? Dementsprechend wenig wusste Rin über Yeti Bescheid. Sie waren groß, liebten Eis und Schnee und waren haarig. Man sagte ihnen zudem nach, sie seien ungeheuer reinliche Wesen, da sie sich den halben Tag über im Schnee wälzten. Dennoch drang ein sehr unangenehmer Gestank an Rins Nase und sie musste kurz angeekelt das Gesicht verziehen.
„Ich vermute die Eiskristalle, die an seinem Haarkleid kleben, lassen das Feuer schmelzen. Anders kann ich mir das nicht erklären“, überlegte die Eismagierin laut und macht derweil einen geschickten Sprung zur Seite, als der Yeti mit lautem Gebrüll auf sie einzuschlagen versuchte. „Hah! Nix da!“ Das Vieh war stark und vielleicht sogar schlau, doch keineswegs war er schnell. „Irgend’ne Idee?“ Mit einigen Schritten hatte Rin sich neben ihren Partner gebracht. Dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern, offensichtlich ebenso unkreativ was den aktuellen Gegner anging, wie sie. „Ich denke, töten sollten wir ihn nicht. Nur aus dem Verkehr ziehen“, meinte er und warf einen kurzen Blick auf Rin. Diese nickte. Er hatte recht. Es war unnötig solch eine Kreatur zu töten. „Gut, dann nehme ich ihn gefangen und wir sehen zu, dass wir von hier weg kommen. Wenn wir alle auf einem Tiger reiten sollten wir mir nichts, dir nichts aus diesem Sturm raus …“ Weiter kam sie nicht, da der Yeti in diesem Moment tief Luft holte und einen riesigen Eisball auf die beiden Magier spuckte. Rin war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er tatsächlich solch einen schnellen Angriff beherrschte, weshalb sie nicht dazu kam, zur Seite zu springen. Dafür schaltete Shinji jedoch schnell genug und schubste sie mit ganzer Kraft zur Seite, sodass die Schwarzhaarige rücklinks im Schnee landete und mit großen Augen dabei zusah, wie das Eis auf Shinjis Körper traf und in Windeseile an ihm hochwuchs, ihn umkreiste, bis er gänzlich in einen riesigen Kristall aus purem Eis gesperrt war. „Nein …“, hauchte Rin und sprang blitzschnell auf, eilte zu ihrem Partner und schlug mit ganzer Kraft auf das Eis ein. Doch nichts geschah. Sie legte eine Handfläche darauf, nur um sie kurz danach wieder zurück zu ziehen und ihr schmerzvoll verzerrtes Gesicht auf den Yeti zu richten. „Was hast du getan?!“, rief sie ihm zu und Blitze begannen um sie herum zu zucken. „Gib ihn auf der Stelle wieder frei!“, rief sie, ihre Stimme bebte gefährlich und ihre Augen loderten vor Wut. Mit einem lauten Schrei der Verzweiflung ließ sie mehrere Blitze auf den Yeti niedersausen, die ihn vor Schmerzen laut aufbrüllen ließen. Sie erwartete, dass er nun zu einem Gegenangriff starten würde, doch stattdessen knurrte er sie nur laut an, öffnete sein Maul weit, brüllte ihr direkt ins Gesicht, dann stapfte er auf den Eiskristall zu, hob ihn an, schulterte ihn und begann dann, einfach davon zu stapfen. Ungläubig beobachtete Rin das Geschehen einen Augenblick lang, dann gab sie erneut einen wütenden Schrei von sich und rannte dem Yeti hinterher. „Wag es dir ja nicht ihn mir weg zu nehmen! Nicht schon wieder!“, schrie sie aus ganzem Leib, blieb dann aber abrupt stehen, als sie Fionas Stimme in ihrem Kopf vernahm. „Rin … hier sind seltsame Geräusch. Ich weiß nicht, was es ist. Bitte kommen Sie schnell zurück.“ Verzweifelt blickte Rin zu dem Yeti und Shinji hinüber, dann in die Richtung, aus welcher sie gekommen war und wieder zurück. Sie hatte einen Auftrag zu erledigen, zwei Menschenleben zu beschützen. Und gleichzeitig wurde da gerade ihr bester Freund entführt … in einem solchen Eisblock konnte er unmöglich lange genug überleben. Es sei denn … so hart, wie das Eis gewesen war, vielleicht hatte der Yeti ihn in Gänze für die Ewigkeit eingefroren.
Die Hände zur Faust ballend und mit den Zähnen knirschend murmelte sie: „Ich komme zurück, Shinji. Ganz sicher!“ Und mit diesen Worten wandte sie sich widerwillig um und eilte zu der kleinen Familie zurück, die es zu schützen galt. Beide Tiger waren noch da, blickten jedoch in ein- und dieselbe Richtung und gaben ein leises Knurren von sich. „Schnappt sie euch!“, befahl Rin und beide Eiskreaturen sprangen synchron in den Sturm hinaus. „Wir müssen hier weg. Ein Yeti treibt hier sein Unwesen und wenn wir länger hier bleiben, könnte er gefährlich werden.“ „Und … wo ist Ihr Partner?“ Einen Moment schwieg Rin. Dann erschuf sie zwei weitere Tiger aus Eis. „Der ist vorgegangen“, gab sie knapp von sich, nahm dann den Jungen an die Hand und zog ihn hinter sich auf den Tiger. „Halt dich gut fest!“ Und im Galopp rasten die Drei auf ihren eisigen Reittieren durch den Sturm, zurück auf die Straße und von dort aus geradewegs in die nächste Stadt. Dort lieferte Rin Joshua und seine Mutter sicher bei ihrem Auftraggeber ab, nahm die Bezahlung entgegen und machte sich auf den Weg zurück in den Wald, um Shinji zu suchen. Sie folgte dem Weg, den der Yeti gegangen war, bis sie eine eisige Höhle fand, diese betrat und feststellte, dass der Yeti zwar mitten drin lag, der Eiskristall jedoch aufgesprengt worden und Shinji verschwunden war.

tbc: Gildenhaus von Graceful Tiger