Enge Nebengasse

cf: Graceful Tiger Gildenhaus - Erdgeschoss

Crocus war immer wieder aufs Neue eine Augenweide. Das letzte Mal war Rin während der Großen Magischen Spiele hier gewesen und sie musste schon sagen … die Stadt war gut wieder aufgebaut worden. Aber sie war nicht hier, um Architektur zu bewundern. Sie war hier, um einer Spur nachzugehen. Ihr war bewusst, dass sie eigentlich gar nichts hatte. Nur die Worte einer Informantin, die ihr berichtet hatte, dass irgendjemand hier in der Stadt jemanden gesehen hatte, der auf die Beschreibung ihres Vaters passen könnte … Das war ja schön und gut, aber Crocus war riesig. Wo sollte sie da anfangen? Sie stand am Bahnhof, war eben aus dem Zug gestiegen, der sie innerhalb einiger Stunden nach Crocus gebracht hatte. Umringt von anderen Reisenden konnte sie nicht ewig hier herum stehen. Sie musste sich bewegen.

Also lief sie einfach los, während sie überlegte, wo sie mit Suchen beginnen sollte. Wie machten das Späher wohl? Abgesehen davon, dass sie meist einem riesigen Netz angehörten, das überall Augen und Ohren hatte. Vielleicht konnte sie ja ein paar dieser Augen und Ohren finden. Und wo fand man solche Leute? Genau im Zentrum des Geschehens, aber stets unbemerkt und ungesehen. Sofort fielen ihr die viele, verwinkelten Gassen dieser Stadt ein. Hier konnte man sich sehr gut verlaufen. Und vor allem konnte man sich hier sehr gut verstecken. Also begab sie sich ins Stadtzentrum, suchte sich dort eine der Seitengassen und schlüpfte hinein. Zuvor kaufte sie sich jedoch noch eine kleine Tüte Bonbons an einem der Marktstände. Sie spazierte guter Dinge durch die Gassen, sah nach vorn, nach hinten, nach oben, immer darauf bedacht eventuell jemanden zu erspähen, der ihr weiter helfen konnte. Und tatsächlich. Nach etwa 30 Minuten erfolglosen Umherirrens entdeckte sie endlich eine weitere Person, direkt vor ihr. Sie war gerade in die nächste Gasse eingebogen, da sah sie sie. Und sprachen sie auch direkt an: „Entschuldigen Sie?!“ Mit winkender, hoch erhobener Hand lief sie breit grinsend auf die junge Frau zu, die da vor ihr her lief, den Rücken zu ihr gewandt. „Ich würde Sie gern etwas fragen!“

Beim näherkommen bemerkte Rin, dass die Person vermummt war. Na wenn das mal nicht schief gehen würde? Dennoch behielt sie das breite Lächeln im Gesicht und blieb mit gebührendem Abstand zu der Fremden stehen, die sich mittlerweile zu ihr umgedreht hatte. Die Kapuze verdeckte ihr Gesicht, sodass Rin nichts weiter über sie ausmachen konnte. Aber sie war kleiner, als Rin. Sollte also irgendwas passieren, konnte sie sich das vielleicht zunutze machen. Das oder einfach die Tatsache, dass sie Magierin war. „Keine Sorge, ich will Ihnen nichts tun. Nur da Sie hier so allein herum laufen dachte ich, Sie wären vielleicht ein … stiller Beobachter.“ ‚Ja, sehr gute Umschreibung, Rin. Gar nicht suspekt…‘ „Ich suche jemanden und dafür suche ich zuerst jemanden, der mir vielleicht weiter helfen kann. Mein Name ist Rin. Rin Setsuko.“ Vielleicht hatte sie ja Glück und diese Frau hatte vor einiger Zeit mal den Weekly Sorcerer gelesen. Oder die Nachrichten und die Magischen Spiele verfolgt … dann würde der name ihr vielleicht etwas sagen. „Haben Sie vielleicht einen Mann gesehen, etwa 180cm groß, eigentlich braune aber mittlerweile sicher grau melierte Haare, braune Augen. Hört auf den Namen Himura... glaube ich.“ Tja … was gab es noch, das sie über ihren Vater wusste? Oder sagen konnte? Würde sie ihre Mutter suchen, hätte sie einfach sagen können „Eine Frau, die aussieht, wie ich“ aber bei ihrem Vater war das alles … etwas schwieriger.

Gin war einfach nur seinem Gefühl gefolgt. Die Finsternis in seinem Inneren hatte beschlossen, dass er hier her kommen sollte, also war er gefolgt. Er hatte immerhin kein Gedächtnis an irgend etwas, also sollte er wohl am ehesten auf seine Gefühle vertrauen.
Und so war er schließlich irgendwo in Crocus gelandet, in den Nebengassen. Die Finsternis drängte ihn, dass es in der Stadt etwas zu finden gab, was er brauchte. Er wusste nicht, worum es sich handeln könnte, aber das Gefühl wurde intensiver, wenn er in bestimmte Richtungen ging, also schien es so, als würde es ihn dorthin führen, wo er das finden würde, was er brauchte, was immer es auch war.
Dabei kam er schließlich auch irgendwann in eine Gasse, wo er zwei Personen stehen sah. Sie interessierten ihn beide nicht groß, er hatte dringlicheres zu tun. Doch das Gefühl wollte, dass er zumindest in ihre Richtung lief. Gut, wenn es denn sein musste. Hoffentlich hielten sie ihn nicht auf. Er wusste nicht wie viel Zeit ihm blieb, bevor er wieder zu seiner verweichlichten, anderen Persönlichkeit wechselte. Er musste sein Ziel vorher erreichen, so viel stand fest.
Also ging er einfach zu den beiden Personen ... und ging mit wehendem Reiseumhang an ihnen vorbei, ohne sie auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Es war nicht seine Intention für ein paar Statisten in diesem Theater namens Leben seine Zeit zu verschwenden, und wenn es nur ein einzelner Blick war, der ihn ablenken sollte.
Und so dauerte es nur Augenblicke, bevor er an den beiden vorbei marschiert war. Er spürte, dass er seinem Ziel näher kam, aber gefunden hatte er es noch immer nicht. Doch ankommen sollte er auch vorerst noch nicht, wie es schien. Denn von einer Sekunde auf die andere spürte er dröhnende Kopfschmerzen, taumelte ein Stück zur Seite und musste sich an einer Wand abstützen, damit er nicht einknickte und stürzte, während er sich mit der anderen an den Kopf fasste. Wo kamen diese Schmerzen her ?
Doch es dauerte auch nicht lang, bis sie wieder abgeklungen waren. Dennoch blieb er erst einmal stehen, drehte sich ein Stück und lehnte sich mit dem Rücken an, um erst einmal kurz durch zu atmen, bevor er bald seinen Weg fortsetzen würde.

Diese Frau wusste weder, wer sie war, noch schien es sie besonders zu interessieren. Aber das war für Rin kein Problem, solange sie Antworten auf ihre Fragen bekam. Und die bekam sie, auch wenn sie mit ihnen natürlich nicht zufrieden war. „Schade“, sagte sie daher nur und ließ ein leises Seufzen hören. „Er ist mein Vater und wird seit etwa sechs Jahren vermisst. Man sagte mir, er wäre hier gesichtet worden, daher dachte ich … ist ja auch egal.“ Sie winkte ab und schaffte es dabei nicht, der Fremden, die sich ihr mittlerweile als Serena vorgestellt hatte, in die Augen zu sehen. Nachher hätte diese noch die Enttäuschung darin gesehen. Enttäuschung, die sich schnell in Interesse verwandelte, als plötzlich eine Gestalt an ihnen vorbei, gehüllt in einen Umhang. So wie ein Späher! Vielleicht wusste die Person ja etwas?

Gerade wollte Rin die Hand ausstrecken und ihr nachrufen, da wankte sie zur Seite und stützte sich an der Wand ab. Der Größe der Gestalt nach zu urteilen vermutete sie, dass es sich dabei um einen Mann handelte, doch viel mehr konnte sie von hinten nicht erkennen. Sie hörte, wie Serena sie etwas fragte, ging darauf jedoch nicht weiter ein, sondern lief sofort auf die Person im Umhang zu. Noch im Gehen erhob sie ihre Stimme: „Entschuldigen Sie? Benötigen Sie Hilfe?“ Der Höflichkeit halber blieb sie mit etwas Abstand hinter ihm stehen und wartete, wie er darauf reagieren würde. Nicht jeder wusste Hilfe sofort zu schätzen und vor allem hier, in den dunklen Gassen, sollte man wohl besser aufpassen. Er hatte sich mittlerweile mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, doch wegen der Dunkelheit hier in der Gasse, die die Schatten der umstehenden Häuser verursachten, konnte sie noch immer nicht viel erkennen. Lange Haare, die strähnenweise vor seinem Gesicht hingen, aber mehr dann auch nicht. Kurz warf sie einen Blick zurück zu Serena, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. Andererseits schien ihr Interesse an diesem Gespräch sowieso nur bedingt da zu sein. Rin konnte sich also gut vorstellen, dass sie bei der nächstbesten Gelegenheit verschwand. Doch bisher stand sie noch da, wo sie und Rin sich zuvor unterhalten hatten.

(OOC: Ich war ja nu ne Weile nicht mehr da. Hat sich bei Gin äußerlich iwas verändert? .o.)

Großartig, das konnte er wirklich gebrauchen ... Jemanden, der seine Zeit verschwendete, während er sowieso nur begrenzt viel davon zur Verfügung hatte ! Wieso musste diese dämliche Persönlichkeitsspaltung auch in dieser Art vor sich gehen ? Er hätte viel lieber die Kontrolle behalten, aber der Großteil von diesem Körper war noch immer menschlich, also war er die schwächere Hälfte und dieser Narr die stärkere. Ein Zustand, den er schnell zu ändern hatte. Am besten wäre es, wenn er den menschlichen Gin vollständig auslöschen könnte ... aber das lag wohl noch in zu weiter ferne, um etwas derartiges sein Denken beherrschen zu lassen.
Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, stieß er sich mit einem kleinen Ruck von der Wand ab, jedoch erst noch ein wenig vornüber gebeugt. Vermutlich würde dieser Störenfried sein Gesicht noch nicht sehen. Er wusste nicht, ob es gut war, wenn man ihn erkannte. Doch wenn er jetzt antwortete ... seine Stimme war wohl doch etwas, was schon der ein oder andere gehört haben musste. Nun, er konnte einfach hoffen.
"Nein, es geht schon ... Ein kleiner Schmerzensschub, sonst nichts.", gab er von sich, ehe er nun den Kopf ein wenig drehte, wodurch eine Hälfte seines Gesichts für die Person sichtbar werden dürfte, die ihn angesprochen hatte. Er musste jedoch vermutlich den Schein wahren. Und wenn er die ganze Zeit sein Gesicht verbarg, dann war das wohl doch auf Dauer ein wenig verdächtig.
Außerdem wollte er in Erfahrung bringen, mit wem er es zu tun hatte. Jetzt, wo sein Gedächtnis so löchrig war, musste er vorsichtig sein. Jeder konnte ein Feind sein, obwohl er sich nicht daran erinnerte. Er musste sich also wieder von null an Gesichter einprägen und zuordnen können.
Hätte er jedoch gewusst, wer dort mit ihm sprach, wäre er jedoch wohl eher dem Blick ausgewichen, so viel stand fest. Doch selbst, als er das Gesicht von Rin sah, konnte er keine Informationen zuordnen, sondern nur sagen, dass sie ihm bekannt vorkam.
Und eben diese Tatsache, dass sie ihm bekannt vorkam, brachte sein Gehirn zum hektischen Versuch, eben doch irgend etwas zuzuordnen, während gleichzeitig ein erneuter Schub der Schmerzen über ihn herein brach, so dass er das Gesicht verzog und erneut eine Hand an seine Stirn hob. Verdammte Amnesie, verdammte Verletzung und verdammte Persönlichkeitsspaltung ! Er wollte doch nur diesem Gefühl folgen ! Und jetzt ging scheinbar auf einmal alles den Bach runter !

Rin wusste, dass sie geduldig sein musste, abwarten sollte, ob ihr Gesprächspartner sich regte und etwas erwiderte, aber irgendetwas in ihr sagte ihr, sich in Acht zu nehmen. Ein paar Schritte zurück zu machen. Aber sie verstand nicht, warum. Daher stand sie einfach da, den gebührenden Abstand weiter einhaltend und wartete. Dann sprach er. Und Rins Atem stockte. Ihre blauen Augen wurden größer und ihr Magen krampfte sich ein wenig zusammen, als sie die Stimme des Mannes erkannte, der ihr gegenüber stand. Was hatte Ginawai Senshi hier in Crocus zu suchen? In einer der Seitengassen? Was hatte er vor? Hatte er überhaupt etwas vor? Vielleicht war er ja auch nur spazieren? Nein, wohl kaum … So viele Fragen rasten Rin durch den Kopf und verursachten höllische Kopfschmerzen, sodass sie das Gefühl hatte, sie wäre die nächste, die sich an die Wand lehnen müsste. Doch stattdessen blieb sie stocksteif stehen und schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. Dennoch klang ihre Stimme, als sie sie zum Sprechen anhob, etwas brüchig: „Dann … sollten Sie vielleicht einen Arzt aufsuchen.“ Das war alles, was sie herausbringen konnte. Gern hätte sie mehr gesagt, ihn gefragt, warum er hier war. Sie merkte außerdem, wie ihre Hände sich langsam zu Fäusten zusammen ballten. Ihr Innerstes schrie sie zum einen an, sich einfach umzudrehen und zu gehen. Zum anderen sagte es ihr, den Gildenmeister von Violent Phoenix zu stellen, ihn zu fragen, was zur Hölle er hier wollte. Aber sie wusste, dass es sie nichts anging. Überhaupt nichts.

Ihre blauen Augen fixierten den großen Mann, der sich mittlerweile so positioniert hatte, dass sie eine Hälfte seines Gesichts sehen konnte. Damit waren sämtliche, vielleicht noch ganz minimal vorhandenen Zweifel nun auch beseitigt. Dieser Mann war definitiv Ginawai Senshi. Wieder krampfte ihr Magen sich ein wenig zusammen. Sie musste atmen. Ihr fiel auf, dass ihre Fäuste leicht zitterten, so sehr presste sie sie zusammen. Daher versuchte sie, ein wenig zu entspannen. Mit wenig Erfolg. Sie räusperte sich, um den nächsten Kloß zu vertreiben und sagte dann langsam und bedächtig: „Suchen Sie sich Hilfe, mit so etwas ist nicht zu spaßen …“ Ob er sie erkannt hatte? Er musste sie erkannt haben. Es war ja nun nicht so, als würde sie besonders verdeckt hier herum laufen. Dennoch musste sie versuchen, den Schein zu wahren. Allein schon wegen Serena, die noch immer hinter ihr stand, wie sie sich versichert hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, den Gildenmeister einmal offen bedroht oder sich offen gegen ihn gestellt zu haben und das hatte sie auch jetzt keinesfalls vor. Auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass ihr Körper mehr als Bände sprach. Sie würde auf jeden Fall später Reika erzählen, dass sie Ginawai hier gesehen hatte. Dann konnte diese vielleicht ein paar Späher darauf ansetzen …

Es schien doch wirklich so, als müssten die beiden sich eigentlich recht gut kennen. Irgend etwas verband sie. Und da die ihm weiterhin unbekannte Frau doch ein wenig angespannt wirkte, vermutete er doch, dass es kein allzu friedliches und freundliches Band war, welches zwischen ihnen bestand. Eine Feindin seines ehemaligen Ichs vielleicht ? Oder eine alte Verehrerin ? Er war sich sicher, dass er davon sicher ein paar hatte. Vielleicht auch eine Person, die ein wenig ungehalten auf seinen Status reagierte ? Neider gab es ja immer. Aber was auch immer sie war, er bezweifelte, dass sie ihn sonderlich mochte. Und sie war sicher auch niemand, wo er wollte, dass sie etwas von seiner Verletzung und den Nachwirkungen eben jener mit bekam. Durchaus ein Problem. Er konnte es nicht brauchen, dass irgendwer durch die Welt spazierte und über seinen Zustand sprach, welcher bei dem kleinsten Fehler von ihm vermutlich ziemlich offensichtlich werden würde ... andererseits ... es würde doch ein wenig unschöner sein, wenn gerade eine Person, die ein möglicher Feind von ihm war, in einem regelrechten Gewittersturm seiner schwarzen Blitze ums Leben kam. Und eine Zeugin gab es ja auch noch ... Ob er beide erledigen könnte, bevor eine von ihnen davon kam ? So wie sie standen vermutlich nicht ... Nein, er musste tatsächlich friedlich bleiben ... eine regelrechte Beleidigung für ihn.
Sie verschwendete das bisschen wertvolle Zeit, welches er hatte, bevor sein Zustand ihm einen Strich durch die Rechnung machte und seinen Plan einfach mal vollständig über den Haufen warf. Er musste also doch recht schnell reagieren und dafür sorgen, dass sie er hier keine Wurzeln schlug. Wenn doch bloß diese Kopfschmerzen nicht wären ...
Um so zu wirken, als würde es ihm wieder besser gehen, richtete er sich nun vollständig auf und drehte sich zu der Frau um. Er strich sich seine Haare aus dem Gesicht und sah sie mit einem größtenteils neutralen Ausdruck auf seinem Gesicht an. Lediglich die Mundwinkel zog er ein winziges Stück hoch, um den Schein von Dankbarkeit zu wahren. Anders hätte es auch nicht zu den Worten gepasst, die er zu sagen vorhatte.
"Ich denke ... ja, ich denke das werde ich tun.", fing er also an auf Rins Vorschlag einzugehen. Die andere Person in der Gasse würdigte er noch immer keines Blickes. Sie würde nur wichtig werden, wenn es doch zu einer Auseinandersetzung kam.
"Doch vorher habe ich noch dringend etwas zu tun, was keinen Aufschub duldet. Dennoch bedanke ich mich für den Vorschlag, Mylady."
Ihm wurde geradezu übel, als er so freundlich und scheinheilig tun musste. Und auch sein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, dass er es eilig hatte, war eigentlich etwas, was er ihr viel lieber direkt ins Gesicht gesagt hätte ... aber er wollte nicht riskieren, dass es hier einen Kampf gab. Wenn er während einer Auseinandersetzung wechselte, dann war das vermutlich mehr als nur gefährlich.
Er hoffte nur, dass er sich mit seinem Verhalten nicht selbst verraten hatte. Er wusste nichts mehr davon, wie er früher mit solchen Dingen umgegangen war und auch nicht, was genau zwischen dieser Frau und ihm passiert war, dass sie so angespannt gewirkt hatte.
Und demmach hieß es jetzt abwarten, hoffen und bereit auf mögliche Schwierigkeiten zu sein. Alles könnte seiner Ansicht nach passieren, aber er wusste eindeutig nicht, was am wahrscheinlichsten war.

Rins Augen wurden immer schmaler, je mehr der Gildenmeister sagte. Wie er sprach … so förmlich und höflich. Was hatte er vor? Sie war sich ziemlich sicher, dass er wusste, wie sie über ihn dachte und da sie insgeheim sogar vermutete, dass hinter dem Anschlag auf ihr Elternhaus damals Violet Phoenix gesteckt hatte, was dieses Denken auch vollkommen berechtigt war. Wofür sie natürlich keine Beweise hatte … es war nur so ein Bauchgefühl. Zumal Reika ihm nicht weiter traute, als sie ihn werfen konnte und Reika … konnte allgemein nicht besonders weit werfen. Schnell verbannte Rin die eben aufkommenden Gedanken tief in ihrem Kopf und versuchte, wieder einen neutralen, wenn nicht sogar etwas freundlichen Ausdruck aufzusetzen. Wenn er so ekelhaft freundlich sprechen konnte, konnte sie das wohl erst recht. „Gut. Wenn Sie bei irgendetwas Hilfe benötigen, fragen Sie einfach. Und versuchen Sie, was auch immer Sie vor haben, es ruhig angehen zu lassen.“ Ihre Stimme hallte in ihren eigenen Ohren wider und sie empfand es als so falsch, dass sie es niemals hätte in Worte fassen können. Ihr Blick wanderte ein weiteres Mal zu Serena, die noch immer hinter ihr stand, ehe sie wieder zu Ginawai sah. „Nun, dann wünsche ich Ihnen gute Besserung und noch einen wunderschönen Tag, Sir.“ Damit setzte sie das wohl freundlichste Lächeln auf, das sie diesem Mann jemals entgegen gebracht hatte und wandte sich zum Gehen. Sie hatte schließlich eine Unterhaltung fortzuführen. Wobei sie sich nicht einmal sicher war, dass es sie noch allzu lange hier halten würde … Ihr Vater hin oder her, Reika musste davon erfahren. Und das so schnell, wie möglich. Wenn sie doch nur telepathisch Kontakt zu ihr aufnehmen könnte. Innerlich verfluchte Rin sich ein wenig dafür, diese Technik nie weiter ausgebaut zu haben.

Noch immer stand sie da, Ginawai den Rücken zugewandt und wirkte ein wenig so, als würde sie zögern. In Wahrheit war sie nur in ihren eigenen Gedanken gefangen. Sie musste sich schnell entscheiden, wie sie weiter fortfahren wollte. Es wäre unhöflich, jetzt einfach zu gehen. Aber wenn sie Serena erklärte, was los war, würde diese es sicher verstehen … oder nicht? Erneut ballte Rin die Hände zu Fäusten, dann atmete sie einmal tief durch, hob den Blick und sah Serena lächelnd an, ehe sie auf sie zulief. Dabei achtete sie jedoch auf jedes Geräusch, jede Bewegung, die der Mann hinter ihr machte. Man sollte seinem Feind niemals den Rücken zuwenden, das wusste sie. Aber sie musste den Schein wahren … Innerlich war sie mehr als unzufrieden darüber, wie diese Situation gerade verlief. Am liebsten hätte sie ihn einfach angegriffen … Aber sie allein gegen einen Gildenmeister? Das wäre lächerlich gewesen. Sie hätte vermutlich nicht mal ansatzweise eine Chance gegen ihn gehabt. Obwohl er tatsächlich ein wenig schwach auf sie gewirkt hatte. Aber vielleicht war das auch einfach nur Show? Vielleicht wollte er sie eben das glauben lassen, damit sie ihn angriff und er es als Selbstverteidigung darstellen konnte, wenn er sie verletzte oder … Schlimmeres. Eine Zeugin hätte er in Serena schließlich. Diesen Gefallen würde sie ihm ganz sicher nicht tun. War sie etwas zu paranoid? Vielleicht. Aber besser zu paranoid, als tot.

„So, bitte entschuldige. Wo hatten wir aufgehört?“ Sie hatte Serena mittlerweile fast erreicht und blieb mit etwas Abstand zu ihr stehen, das Lächeln von vorher noch immer auf den Lippen. „Achja. Genau, ich suche meinen Vater. Also wenn du irgendwann einmal einen Mann siehst, der auf diese Beschreibung passt, würdest du mir Bescheid geben?“ Sie holte einen kleinen Zettel und einen Stift hervor und begann, darauf zu schreiben. Sie hinterließ ihren Namen, ihre Gilde und eine Adresse, bei welcher sie anzutreffen war. „Entweder kommst du selbst vorbei, ich freue mich immer über Besuch, oder du schreibst einfach eine Nachricht. Würdest du das für mich machen?“ Und sie hielt ihr den Zettel mit einem Lächeln entgegen.

Diese gesamte Situation war ihm so sehr zuwieder ... Aber er musste einfach den Schein waren.
Die Frau schien zudem auch friedlich zu bleiben, anders als ihre Körpersprache ursprünglich hatte vermuten lassen. Aber das kam ihm zugute. Er wollte hier wirklich keine unschöne Szene machen ... nun, eigentlich wollte er es schon, aber sein Verstand sprach doch sehr dagegen.
Eben deshalb nickte er auch auf Rins Worte hin, er solle es ruhig angehen lassen.
"Ich denke, genau das wird wohl das beste sein, Ihr habt recht, Mylady."
Er wartete nun, während sie kurz zu ihrem ehemaligen Gesprächspartner schaute ... an sich war dieser kurze Blick über die Schulter lange genug, um sie einfach zu erledigen ... er würde sie mit einer tödlichen Ladung seiner Blitze treffen, bevor sie überhaupt wusste, was geschah ... aber nein ! Nein, er musste gegen diesen Drang ankämpfen, auch wenn allein der Gedanke des sich bietenden Schauspiels ihm bereits sehr gefiel.
Dann drehte sie sich jedoch wieder zu ihm und wünschte ihm eine gute Besserung und einen schönen Tag. Na endlich !
Er verneigte sich leicht und antwortete mit den Worten: "Meinen aufrichtigen Dank. Und ich wünsche ebenfalls noch einen angenehmen Tag. Vielleicht auf bald, ansonsten lebt wohl."
Nach diesen Worten wandten sie sich schließlich voneinander ab, auch wenn Gin noch weiterhin den Drang hatte, einfach einen mächtigen auber hinter ihr her zu schießen, aber er war geübt genug in Selbstkontrolle, um diesen Drang zurück zu halten.
Auch wenn er mit jedem Schritt, den er machte, nur noch stärker wurde. Sein Blut geriet mit jedem Meter, den er seinem Ziel näher kam, mehr und mehr in Wallung ... er spürte das dämonische Verlangen einfach nur ein Massaker anzurichten.
Doch schließlich war er wieder allein, eine Gasse weiter ... wo er das dröhnende Gefühl hatte, dass er sein Ziel entdeckt hatte. Seine Augen leuchteten rot auf, wurden immer greller und strahlten am Ende regelrecht, während sein Blick magisch von einer Wand angezogen wurde, wo ebenfalls etwas rot leuchtete. Er ging dort hin und hob die Hand, um das Objekt seiner Begierde aus einer Fuge zwischen zwei Steinen hervor zu ziehen. Es war recht schwierig, doch schließlich hielt er es in der Hand ... ein kleiner, durchsichtiger Kristall in der Form eines Tropfens ... und darin befand sich eine rote Flüssigkeit, eindeutig Blut.
Er fing an leise vor sich hin zu lachen, dann ließ er den Kristall in seiner Pocket Dimension verschwinden, ehe er sich mit wehendem Reiseumhang von der Wand weg drehte und wieder seiner Wege ging. Der Druck seiner menschlichen Hälfte, welche die Kontrolle zurück wollte, war verschwunden. Und Gin spürte, wo er als nächstes hin musste. Er spürte, wo sein nächstes Ziel war. Der nächste dieser Kristalle ... er hatte keine Ahnung was sie bedeuteten, aber er musste sie einfach haben !

Nachdem sie Serena den Zettel in die Hand gedrückt hatte, sah sie sich noch ein letztes Mal um. Ginawai war aber tatsächlich gegangen. Er hatte sich noch „aufrichtig“ bei ihr für ihre „Hilfe“ bedankt und war dann davon gegangen. Zumindest darum musste Rin sich jetzt also für ein paar Augenblicke keine Gedanken machen. Sehr gut. Sie schenkte der anderen Frau ein schnelles Lächeln, dann nickte sie knapp. „Dankeschön. Das wäre alles, ja. Du kannst gehen, wenn du möchtest.“ Dass sie selbst ansonsten diejenige gewesen wäre, die gegangen wäre, ließ sie dabei einmal außen vor. So konnte sie ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen zurück zum Bahnhof gehen. Das tat sie auch, nachdem Serena sich umgedreht hatte und gegangen war. Sie selbst verschlug es in eine andere Richtung, aus dem Straßen-Wirrwarr heraus und zum Bahnhof der Hauptstadt, von wo aus zum Glück auch recht schnell ein Zug abfuhr, mit dem sie nach Hause kam.

tbc: Graceftul Tiger Gildenhaus - Erdgeschoss